Freitag, 27. März 2015

Gefühle darstellen

Oft lese ich Geschichten, in denen Gefühle beschrieben und nicht dargestellt werden. Das sollte sich ändern, aber bevor ich zum eigentlichen Punkt komme, lest euch das folgende Beispiel doch mal durch, da sich meine Tipps auch darauf beziehen werden:

Lenja ballte ihre Fäuste.
„Kannst du sie nicht endlich vergessen?“
„Wie könnte ich...“, setzte Eric an und starrte gedankenverloren aus dem Fenster. „Sie ist meine einzig wahre Liebe.“
„Was kann das nur für eine Liebe sein, wenn sie dich behandelt wie der letzte Dreck?“
Sie versuchte sich zusammenzureißen, konnte aber ein leises Zittern in ihrer Stimme nicht verbergen.
Erics Mundwinkel zuckten unwillkürlich.
„Das war nicht ihre Schuld.“ Er ging ans Fenster, drehte sich, dass sie sein Gesicht nicht mehr sehen konnte. „Sie hatte keine andere Wahl.“
Jetzt klang seine Stimme brüchig.
„Keine andere Wahl? Meinst du er hat bloß einen Hoodie mit der Aufschrift 'F**k mich!' getragen und sie ist dann einfach darauf angesprungen?“
Lenjas Blick wurde unscharf, schnell wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen. Nicht jetzt. Sie musste sich zusammenreißen.
Wie konnte er so lange übersehen, dass sie für ihn all das sein konnte, was er in diesem Miststück zu sehen glaubte?

Ich glaube das Beispiel reicht aus, um deutlich zu machen, dass nicht ein Wort darüber verloren wurde, wie sich die beiden fühlen (nirgendwo steht „Lenja ist traurig und verletzt“ oder „Eric versucht sich selbst etwas vorzumachen“).
Das Beispiel soll deuten, dass Eric von seiner großen Liebe betrogen wurde und diese sich vielleicht willentlich einem anderen Mann hingegeben hat. Daher heult sich Eric bei Lenja aus, die mehr Gefühle - als Freundschaft - für ihn empfindet.
Trotzdem hoffe ich, dass ihr während diesem Beispiel schon erraten habt, was darunter erklärt wurde. Bestimmt konntet ihr euch ein ziemlich gutes Bild davon machen, wie sie empfinden. Ich werde euch mit den folgenden Tipps erklären, wie ihr Gefühle nicht beschreiben, sondern darstellen und zeigen könnt. Ich habe sie Tipps in verschiedene Schritte aufgeteilt:

1. Dialoge
2. Gedanken
3. Handlung
4. Rückblenden
5. Reaktion

1. Dialoge
Mit der Wortwahl in Dialogen kann der Leser auch erfahren, welche Gefühle hinter diesen Worten stecken. Das kann man allerdings nicht nur für den Charakter der Person schreiben, sondern auch für dessen Stimmungslage.
Definitiv macht es einen Unterschied, wenn Lenja sagt "Meinst du nicht, es könnte möglich sein, dass sie sich ihm willentlich hingegeben hat?" oder (wie bei meinem Beispiel) "Meinst du er hat bloß einen Hoodie mit der Aufschrift 'F**k mich!' getragen und sie ist dann einfach darauf angesprungen?"
Beide Versionen wollen dasselbe deuten:
Erics große Liebe könnte ihn absichtlich betrogen haben, nicht wie er denkt, dass sie dazu gezwungen wurde und deshalb keine Schuld daran trägt.
Besonders wenn Lenja normalerweise ein eher ruhiger Mensch ist, deutet die zweite Variante mehr Gefühle: "Ich bin äußerst ungehalten", um nicht zu sagen: "stinksauer!"
Also, die Wortwahl in der direkten Rede ist ein sehr passendes Mittel um Gefühle zu transportieren.

2. Gedanken
Ein weiteres sehr direktes Mittel sind die Gedanken einer Person. Dazu gibt es zwei Dinge von meiner Seite aus zu sagen.
Zum Einen hängt es sehr von der Perspektive ab, ob ihr dieses Mittel überhaupt verwenden könnt. Die Wahl von verschiedenen Sichtweisen kann euch dabei helfen, dem Leser verschiedene Motive näher zu bringen.
In dem Beispiel ist Lenjas Perspektive gewählt worden, nur ihre Gedanken sind sichtbar. Von Eric erfahren wir nur, was Lenja sieht. Um seine Denkweise genauer unter die Lupe zu nehmen, bräuchten wir eine Szene, die aus seiner Sicht geschrieben ist.
Zum Anderen könnt ihr bei Gedanken, genau wie bei der direkten Rede sehr viel durch die Wortwahl erreichen. Nur habt ihr hier die Freiheit einige Dinge mehr einfließen zu lassen, als nur das, was man laut aussprechen würde.
Du, beziehungsweise dein Leser, sitzt jetzt im Kopf deines Charakters und du kannst ihn alles wissen lassen, was du willst.
Besonders gut geeignet um Gefühle zu zeigen, sind Fragen: „Wie konnte er solange übersehen haben, dass sie für ihn all das sein konnte, was er in diesem Miststück zu sehen glaubte?”
Das Wort “Miststück” lässt darauf schließen, dass Lenja die Person nicht besonders gut leiden kann, und die Tatsache, dass es sich hier um eine rhetorische Frage handelt, die also schon eine Antwort deutet (nämlich, dass “das Miststück” das gar nicht verdient hat), gibt einiges Wissen von Lenjas Gefühlen.
Gedankliche Beschimpfungen, schmachten, etc. sind ebenso geeignet und können verwendet werden, um zusätzlich Gegenständliches zu zeigen (anstatt es zu beschreiben):

Während sie sprach, hefteten sich Erics Augen automatisch auf ihren kirschroten Mund. Wenn sie ein ‘O’ formte, begannen seine Lippen zu kribbeln. Ein heißer Blitz zuckte dann durch seinen Brustkorb und er fragte sich, was es wohl für ein Gefühl wäre sie zu küssen. Wie weich mussten sich diese vollen Lippen anfühlen und wie nah würde er dabei ihren Sommersprossenkommen.

Zugegeben ein bisschen viel nur um ein Bild von ihren Lippen zu zeichnen, aber ich denke, es wird klar was gemeint ist. Außerdem zeigt es nicht nur ihre Lippen, sondern eben auch seine Gefühle für sie.

3. Handlung
Wie bereits oben erwähnt, hatte ich keine Gelegenheit Erics Gedanken in mein Beispiel einzubringen, da es aus Lenjas Perspektive geschrieben ist.
Trotzdem konntet ihr einiges über Eric erfahren und das meiste davon durch seine Handlung.
Wenn er sich abwendet und die Mundwinkel zucken, wobei er sein Gesicht verbirgt, sind Hinweise darauf, dass ihm die gesamte Situation ziemlich nahe geht.
Also verzeiht er ihr (seiner großen Liebe, die eher indirekt erwähnt wird) doch nicht so sehr, wie es seine Worte behaupten. Besonders dann, wenn seine Handlung nicht zu den gesprochenen Sätzen passt, können Gefühle schön deutlich dargestellt werden.
Aber die Handlung ist auch ein gutes Mittel, wenn gerade nicht gesprochen wird. Nehmen wir mal an, dass Lenja gerade zur Türe hereinkommt:

Sie öffnete die Türe und sah Eric am Küchentisch sitzen. Er hatte ihr den Rücken zugewandt und betrachtete ein Foto.
Ein Foto von IHR.
Sein Finger strich fast zärtlich über das Gesicht auf dem Bild, dann lief ein Zittern durch seinen Körper und er griff sich an die Stirn.
Plötzlich zerriss er das Foto in zwei Hälften und schleuderte es durchs Zimmer. Lenja wich schnell zurück und spähte durch den Türspalt.
Dann sah sie, wie er sich immer wieder die Fäuste ins Gesicht schlug. Lenja wollte gerade anklopfen und so tun als sei sie gerade erst angekommen, da stand er auf, hob die beiden Teile auf und fügte sie wieder zusammen.
Sein Finger strich erneut über die Wange des Mädchens. Lenja schloss die Tür leise und ging zurück zum Wagen.

Keine Gedanken. Keine Gespräche.
Nur reine Handlung.
Trotzdem habt ihr wohl einigermaßen gute Vorstellungen davon, dass Eric ziemlich hin und her gerissen ist - zwischen Hass und Liebe.
Selbst über Lenja erfahren wir wieder, dass sie ihm gerne helfen würde, das aber nicht kann, weil er noch zu sehr an IHR hängt. Für mich ist die Handlung eines der wichtigsten Mittel, wenn nicht sogar das Wichtigste, um Gefühle auszudrücken.

4. Rückblenden
Eine weitere Methode, die ich in meinem Beispiel allerdings nicht verwendet habe, ist die Rückblende (Flashback):

Lenja trug vorsichtig Lippenstift auf. Im Spiegel beobachtete sie Eric, der plötzlich zu lächeln begann. Vielleicht gab es ja doch noch Hoffnung. Dann wurden seine Augen glasig.
***
Er sah, wie Lenja sich den Lippenstift auftrug und sofort blitzte ein Bild vor ihm auf. SIE stand vor dem Spiegel im Badezimmer, drehte den Lippenstift auf, bemerkte, dass er SIE beobachtet und leckte sich kokett über die Lippen. Eric musste lächeln. SIE war so wunderschön. Dann sprang ihm eine andere Szene ins Gesicht. Dieser Typ lag nackt und schwitzend auf ihr, … in seinem Bett.

Was aus Lenjas Sicht einen Grund zur Hoffnung gab, sah aus seiner Sicht ganz anders aus. Wie er sich fühlt, braucht angesichts der Bilder die in ihm auftauchen nicht ausgesprochen zu werden.
In diesem Fall ist eine Rückblende, wenn sie kurz und knackig eingebaut wird, ein gutes Mittel um schnelle und klare Gefühle zu vermitteln.
Man sollte es dennoch nicht mit Flashbacks übertreiben, sondern eher sparsam mit ihnen umgehen.
Am besten wirfst du deine Leser einfach in eine Rückblende hinein. Dabei könnt ihr euch ein Beispiel an den SEKs der Polizei nehmen:
schnell rein und genauso schnell wieder heraus.

5. Reaktion
Zwar ist die Reaktion ein Teilgebiet der Handlung, die wir schon behandelt haben, dennoch möchte ich ein bisschen gesondert darauf eingehen.
Denkt doch mal über euer alltägliches Leben nach, denn es ist nämlich die Reaktion, die uns darüber aufklärt, was unser Gegenüber denkt.
Im echten Leben können wir nicht in den Kopf eines anderen Menschen schauen, um zu sehen, was er denkt. Wir können ihn nicht dazu zwingen mit uns zu reden. Wir können nicht in seine Vergangenheit sehen und wir können auch nicht dafür sorgen, dass wir ihn in einem Moment erwischen, der uns seine Gefühle durch eine Handlung (wie im vorletzten Beispiel) offenbart.
Aber wir können ihn durchgehend beobachten dabei zusehen, wie er auf bestimmte Situationen reagiert. Wir können sehen was er macht, wenn wir den Namen seiner Ex erwähnen. Wir können ihn auf das letzte Fußballspiel ansprechen, mit ihm unser Frühstücksbrot teilen, ihn zum Essen einladen, ihn als Faulenzer beschimpfen oder mit seinem besten Freund über seine sexuellen Vorlieben diskutieren und beobachten ob er noch immer mit uns redet, wenn wir uns das nächste Mal mit ihm treffen.
Das alles sind natürlich nur Beispiele.
Aber jede Reaktion, die wir auf unsere eigenen Aktionen erhalten, lässt uns Schlussfolgerungen ziehen, ob und inwiefern unser Gegenüber etwas berührt. Natürlich sind diese Reaktionen nicht eindeutig, aber sie geben uns Hinweise und genauso könnt ihr auch euren Lesern Hinweise auf das Gefühlsleben eurer Charaktere geben.
Besonders wenn ihr eigentlich keine hundertprozentige Klarheit darüber schaffen wollt, was für Gefühle eure Charaktere eigentlich haben.
Dann gebt ihr euren Lesern nur eine Reaktion. Entweder er liest sie richtig oder eben nicht.
Egal wie er den Hinweis deutet, er ist sich nicht sicher. Dadurch bleibt es bis ans Ende spannend und eure Leser sind unsicher, ob Eric Lenja jetzt wirklich liebt, oder ob der Leser sich nur bei der Interpretation einer Handlung geirrt hat.

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